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Und da stand ich nun.
Am Eingang einer renommierten Rehabilitationsklinik.
Ich blickte direkt in die grosse Halle, dezent geschmückt mit einladenden Pflanzen und Bildern an der Wand.
Auf dem Weg zur Rezeption kamen mir einige freundlich zulächelnde Menschen in Weiss entgegen.
Ich wartete bis die nette Dame am Empfang den Hörer auflegte und sich mir zuwandte.
Die Anmeldung ging unkompliziert vonstatten und ich wurde sogleich meinem Zimmer, welches für die nächsten Wochen mein neues Zuhause sein sollte, zugeteilt.
Als ich mich darin befand, wurde mir allmählich bewusst, was das alles soll. Das Bewusstsein kam hervor. Die höchste Funktionsstufe eines Menschen, welches als sogenanntes implizites Wissen über sich als handelnde, erlebende Person bezeichnet wird. Die Grenze – Mediziner nennen es wohl Demarkation – zwischen dem Selbst und der Aussenwelt kann klar gesetzt werden und die Wachheit als Voraussetzung ist bestehend. Zu einem späteren Zeitpunkt sollte ich noch sehen, wie es sein kann, nicht ganz im Bewussten zu sein.

Mein Zimmergenosse würdigte mir kaum einen Blick. Er lag einfach nur da. Völlig erschöpft.
Scheint wohl eine ganzheitliche Erschöpfung zu sein. Psychovegetativ auf den Ebenen körperlich, geistig-mental, emotional und sozial. Mir kam in den Sinn, dass mein Arzt, der mich hierher verwiesen hat, ebenfalls das Wort Erschöpfung ständig in den Mund nahm. Nach dem Fehlversuch der Arbeit mit dem Berater, war dieser der Ansicht, dass in diesem Fall eine ganzheitliche Behandlungsmassnahme in einer darauf spezialisierten Einrichtung angezeigt sei. Dies führte mich zum Arzt, welcher wiederum das Ganze hier organisiert hat.
Ich bin gespannt, was da alles auf mich zukommt.

Am nächsten Tag musste ich mich sämtlichen Untersuchungen und Gesprächen unterziehen.
Verdammt anstrengend, aber so ist das nun mal.
Die Psychiatrie kennt dem Anschein nach sämtliche Verfahren der Diagnostik, um das definitive Krankheitsbild erfassen zu können. Ist ja im Grunde auch richtig so. Schlussendlich hängt vieles davon ab.
Ich wurde in einen Raum gebracht, der mit «Klinische Untersuchung» angeschrieben war. Darin war ich eine ganze Weile und wurde von einem sehr freundlichen, empathischen Arzt betreut. Zuerst führte er eine Art Interview. In einem zweiten Schritt, er nannte es Anamnese, erzählte ich ihm meine ganze Geschichte mit allen relevanten Details. Eigentlich erzähl ich nicht gerne so viel von mir, ich wusste aber auch, dass es meiner Gesundheit zuliebe war.
Im Anschluss führte der Arzt noch einen Körperbefund durch.
Der Arzt befragte mich weiter und er scheint jede noch so kleinste Regung von mir genauestens zu beobachten.
Es waren sehr gezielte Fragen und es machte mir den Eindruck, als ob er daraus seinen ersten Verdacht, was da mit mir los sein könnte, schöpfen wollte. Er hat die Qual der Wahl aus unzählig verschiedenen Störungsbildern der menschlichen Psychosomatik.
Teils konnte ich auf seine Notizen schielen. Aber vielleicht weisst du ja auch genauso gut wie ich, wie es zum Scheitern verurteilt ist, die Ärzteschrift entziffern zu können…. =) Es sah aber irgendwie nach einem Ausschlussverfahren aus.
Er differenzierte sehr genau.
Herr Doktor klärte mich darüber auf, dass ihm ein ganzheitlicher Ansatz sehr wichtig ist. Eine Krankheit besteht nicht nur aus einer Fehlfunktion des Körpers, sondern es spielen stets auch die Psyche und der soziale Aspekt eine wichtige Rolle. Das scheint mir irgendwie einleuchtend: Wenn ich Kopfschmerzen habe, sind meine Stimmung und Gedanken entsprechend ausgerichtet. Dann kommt es auch eher mal vor, dass ich das Treffen auf ein Gläschen, oder zwei, oder drei, oder…nein, nicht dass ich in eine Alkoholintoxikation und in ein damit einhergehendes Delirium abtauche….
Wo waren wir? Genau, bei Schmerzen hast du auch einfach mal keine Lust und sagst das Treffen mit deinem sozialen Umfeld ab. Da schliesst sich nun der Kreis.
Damit wollte der Arzt mir darlegen, weshalb mein Therapieplan, den er für mich zusammengestellt hat, so aussieht wie er es eben tut.
Dieser Plan besteht aus ein paar wenigen Medikamenten für die Verbesserung meiner Stimmung, Terminen beim Psychotherapeuten und Gruppenterminen, in denen uns wohl sogenannte Entspannungsverfahren und Strategien zum Selbstmanagement nähergebracht werden.
Klingt irgendwie entspannt.

Nach diesem ausgiebigen Termin habe ich mir das Mittagessen wohlverdient.
Ich sass – wie es sich noch herausstellen wird – mit einer sehr interessanten Person am Tisch. Ebenfalls ein Patient.
Er verstand es, mich ziemlich schnell zu verwirren. Vorgestellt hat er sich nämlich mit Patrick. Und plötzlich während unserem Gespräch war er Mischa. Wie ausgewechselt. Eine komplett andere Sprech- & Verhaltensweise.
Als ob das noch nicht genügte, kam auch noch Bob ins Spiel. «Willst du mich eigentlich vereiern?!» Zum Glück spreche ich nicht immer gleich das aus, was ich mir denke. Der wäre nämlich hinten raus.
Ich machte mir bewusst, dass wir hier ja in einer Klinik, mit Menschen eines psychischen Krankheitsbildes sind und ich eigentlich wissen müsste, dass Patrick, ähm, Mischa, oder doch Bob, dies sicher nicht mit Absicht machen. Das hat bestimmt seinen berechtigten Grund. Also versuchte ich, so gut es eben ging, den Dialog aufrechtzuerhalten und diese Drei in Einem kennenzulernen. Definitiv nicht alltäglich und gerade deshalb irgendwie faszinierend.
Für einen Moment vergass ich meinen Zustand und war im Bann meines Gegenübers. Ich wollte unbedingt mehr wissen, dies aber ohne Patrick mit einem Schuss voller Fragen zu überfordern. So verschwand ich nach dem Essen in mein Zimmer und recherchierte.
Immer wieder stiess ich auf den Begriff der Dissoziation und jener der sogenannten Multiplen Persönlichkeitsstörung. Sieht nach einer Ich-Identitätsstörung aus, in welcher der Betroffene verschiedene Persönlichkeiten in sich trägt und diese je nach Situation zum Vorschein kommen, ohne dass er es gross steuern, oder sich später daran erinnern kann. Eine ausgeprägte Art der Entfremdung. Hm, regt zum Nachdenken an.
Weiteres las ich, dass es solche Entfremdungsgefühle auch in milderen Formen gibt. Im Rahmen einer Depersonalisation löst sich der Betroffene von sich selbst. Er steht irgendwie neben sich und sieht sich als eine Art Beobachter von sich selbst. Anders bei der Derealisation, bei der der Betroffene ein Entfremdungserlebnis hinsichtlich der Umwelt und Mitmenschen erlebt. Menschen mit solchen Phänomenen haben schlimme Erfahrungen gemacht. Meistens steckt wohl ein Trauma dahinter. Nicht immer ist es aber gleich mit einer Krankheit gleichzusetzen. Solche Phänomene sind nämlich auch im Alltag zu beobachten. Dann wird es als normalpsychologischer Begriff angesehen und hat die Bedeutung einer allgemeinen menschlichen Fähigkeit. Bestimmt warst auch du schon einmal auf etwas hoch konzentriert oder bist für einige Momente einfach mal irgendwie in eine andere Welt abgetaucht. Ja selbst wenn du in einem Entspannungszustand bist, kann das durchaus mal vorkommen.
Faszinierend, was die Psyche mit uns alles anstellen kann, was?

Ich hielt einen Moment inne und erkannte, dass ich gerade einmal einen Tag hier war und bereits sehr viel Neues gelernt habe. Diese Tatsache machte mich extrem neugierig auf das, was ich hier noch alles erleben soll. Was hat es mit diesen Entspannungsverfahren auf sich und welche spannenden Menschen werde ich hier wohl noch kennenlernen?

Fortsetzung folgt!  

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